5.1 Stammes- und Sippenlandwirtschaft

5.1.1 Wanderviehzucht

Viehwirtschaft, bei der die Tiere periodisch zu den Weidegebieten gebracht werden, kommt in zwei Formen vor. Bei Transhumanz wandern seßhaften Besitzern gehörende Herden, von Personal begleitet, periodisch zwischen klimatisch verschiedenen Zonen, so daß keine Stallfütterung im Winter erforderlich wird (32). Sie ist in allen Erdteilen bei Grenzstandorten anzutreffen. Hirten-Nomadismus ist eine mobile Lebens- und Wirtschaftsweise, bei der Gruppen (Teilstämme, Großfamilien und Familien) mit ihren Viehherden wandern, die oft die einzige Produktionsgrundlage sind. Diese Form ist besonders in semiariden Gebieten verbreitet. Die Grenzstandorte erzwingen eine Wanderung innerhalb der Stammesterritorien, die mehr durch Tradition oder Macht als rechtlich definiert sind. Die Führung der Gruppe ist patriarchalisch. Die Existenzsicherung für den Verband erfordert Loyalität der Mitglieder und Sorgepflicht des Anführers. Die Ordnung ist straff, der Zusammenhalt stark. Zu sozialen Differenzierungen kommt es durch Überlagerung seßhafter Landbewirtschafter, von denen man sich durch besondere Heiratskreise separiert.

Produktionsziel ist Selbstversorgung und Akkumulation eines prestigebringenden Viehbestandes. Die Marktproduktion ist begrenzt, wichtig aber für Zuchttiere. Häufiger Lagerwechsel verhindert Lagerhaltung (außer lebendem Vieh). Neuerdings kommt es zu Getreidebau, oft durch seßhafte Pächter und Landarbeiter. Der Nomadismus hat große Bedeutung wegen seiner Nutzung von Grenzstandorten und Erschließung von Transportwegen. Die Produktionsleistung ist jedoch sehr gering, bei Überweidung kommt es zu Bodenzerstörungen. Die Stammesgruppen sind fortschrittsunzugänglich, und Bemühungen zur Seßhaftmachung haben wenig Erfolg gezeigt. Sie würde einen Übergang zur wenig geachteten Feldarbeit und die Aufgabe der Oberschichtposition, also eine Abkehr von der überkommenen Kultur (29) erfordern (zu den betriebswirtschaftlichen Aspekten —» RUTHENBERG und ANDREAE, Abschn. 7.2).

5.1.2 Wanderfeldbau

Bei dieser in den humiden Tropen anzutreffenden Wirtschaftsform werden die Anbauflächen periodisch verlegt, so daß das Land wieder der Brache anheimfällt (shifting cultivation) (40). Beim Wanderfeldbau im engeren Sinne werden Anbaufläche und Siedlung, bei der Landweckselwirtschaft nur die Anbaufläche verlegt, während die Siedlung permanent ist. Diese Form findet sich vor allem im tropischen Regenwald und besonders in Afrika südlich der Sahara. Der Boden wird dort von sozialen Gruppen, vertreten durch die Häuptlinge und Bodenpriester, kontrolliert und an einzelne Familien zur Nutzung übergeben. Die Fläche wird durch Abbrennen gerodet, für einige Jahre bepflanzt und fällt dann wieder der Bewaldung anheim, während eine andere Fläche gerodet und bebaut wird. Die Regenerationsperiode sichert die Bodenfruchtbarkeit. Bei reichlichem Boden und wenig Menschen ist diese flächenextensive Nutzung durchaus möglich. Mit minimalem Kapitalaufwand und wenig Arbeitsaufwand werden zwar geringe Erträge erwirtschaftet, die aber zur Selbstversorgung auf niederem Niveau ausreichen.

Zwischen den Geschlechtern besteht oft eine Arbeitsteilung: Die Männer z. B. roden, während die Frauen eine ihrer Arbeitskapazität entsprechende Fläche bebauen. Die Anbaufläche steht dadurch in Relation zur Personenzahl (zu den betriebswirtschaftlichen Aspekten —> RUTHENBERG und ANDREAS, Abschn. 2).

Das Sozialsystem begrenzt sich weitgehend auf Teilstrukturen. Innerhalb der Gruppen besteht starke Solidarität und Erfüllung aller Bedürfnisse. Die Beziehungen zu großen Gebilden (Staat) sind gering. Das bemerkenswert egalitäre Gesellschafts- und Wirtschaftssystem kommt in neuerer Zeit vermehrt in Schwierigkeiten: Der zunehmende Bevölkerungsdruck läßt Land und Nahrung knapp werden. Das immer häufigere Roden gefährdet die Bodenfruchtbarkeit und richtet heute vielfach unheilbare Schäden an. Beginnende Marktproduktion verlangt Intensivierung, die innerhalb des Systems kaum möglich ist. Ein Ausgleich zwischen landreichen und landarmen Gruppen stößt auf große Schwierigkeiten. Dazu kommt, besonders bei modernen Bevölkerungsteilen, Spekulation und Privateigentum an Land auf.

Eine Überführung des den heutigen Anforderungen nicht mehr gerechten Agrarsystems in angepaßte Formen stößt bisher auf große Schwierigkeiten, nicht zuletzt, da sie sich meist am westlichen Konzept der Individualisierung orientiert, dessen Eignung zumindest zweifelhaft ist. In Tansania versucht man, ein Modell mit kooperativem oder kollektivem Bodeneigentum einzuführen.