Agrarverfassungen
FRITHJOF KUHNEN
1 Definition und Abgrenzungen
Seit den Anfängen der Geschichte sind die Beziehungen
der Menschen zum Boden von grundlegender Bedeutung für
die Gesellschaft. Sie haben religiös-kulturelle, ökonomische
und sozial-politische Aspekte und sind in allen Gesellschaften
institutionalisiert.
Die Regeln und Ordnungen, die die Beziehungen der Menschen
zum Boden und zu ihren Mitmenschen in der agrarischen Gesellschaft
bestimmen, werden im deutschen Sprachraum als „Agrarverfassung"
bezeichnet. Nach der weithin akzeptierten Definition VON DlETZES
(17) bezieht sich Agrarverfassung auf „die Gesamtheit
der sozialen Beziehungen der ländlichen Menschen zueinander,
die ihrerseits wieder durch das Verhältnis zum Boden
bestimmt werden. Die Agrarverfassung ist somit Teil der rechtlichen
und sozialen Ordnung einer Gesellschaft. Ihre Hauptstücke
sind die Grundbesitzverfassung und die Arbeitsverfassung".
Gegenstand der Agrarverfassung sind die gewohnheitsmäßigen
oder kodifizierten Rechte, welche Individuen am Boden haben,
und die daraus resultierenden Verhaltenscharakteristika (Rollensysteme,
Schichtungen, Mobilität, Werte, Normen). Einen korrespondierenden
Begriff gibt es in der englischen Sprache nicht. Der am nächsten
kommende Begriff „Land Tenure" beinhaltet „alle
Beziehungen zwischen Menschen bezüglich ihrer Rechte
zur Kontrolle und Nutzung von Boden" (27). Es handelt
sich dabei um ein Bündel von Rechten, das die Gesellschaft
auf den Staat sowie Privatpersonen und Gruppen überträgt,
und zwar mit traditionellen oder legalen Verpflichtungen.
Das Tenure-System ist dieses Bündel von Rechten, aber
auch die Art, wie das Bündel verteilt ist. Der Begriff
„Land Tenure" ist enger als „Agrarverfassung",
wobei festzustellen ist, daß in neuerer Zeit und besonders
bei soziologischen Autoren die Unterschiede sich immer mehr
verringern.
Umgekehrt ist „Agrarstruktur" ein viel breiteres
Konzept, das die Gesamtheit der in der Landschaft bestehenden
Produktions- und Lebensbedingungen umfaßt. Zur Agrarverfassung
hinzu kommen hier noch die Bedingungen der Bodenbewirtschaftung
(Betriebsgröße und Bodennutzungssystem, Marktstruktur,
Förderungsinstitutionen etc.). VON DIETZE (17) unterscheidet
zwischen technischer, wirtschaftlicher und sozialer Agrarstruktur,
wobei letztere mit Agrarverfassung identisch ist.
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