3.2 Das Beispiel Pakistan

Die erste Phase der Community-Development-Bestrebungen in Pakistan, nämlich 1952 bis 1960, ist dem indischen Programm in Organisation, Zielen und Aktivitäten sehr ähnlich. Es gab auch hier den Förderungsagenten auf Dorfebene, nur daß er als Village Worker bezeichnet wurde. Unterhalb der Distrikte wurde die neue administrative Einheit der Development Areas mit etwa 100000 Einwohnern und 150 Dörfern eingeführt. Village Councils wurden als Selbstverwaltungsorgane mit wirtschaftlichen, aber nicht politischen Aufgaben geschaffen. Ziele und Maßnahmen waren ganz ähnlich wie in Indien. Auch hier legte man nach der Mißernte von 1956 das Hauptgewicht auf die Förderung der landwirtschaftlichen Produktion.

Die Erfolge waren so gering wie in Indien und auch die Ursachen des Mißerfolges waren ähnlich: Die Bevölkerung akzeptierte das Programm nicht als eigene Sache, sondern sah es als Regierungspatronage an. Zwischen den Ministerien und ihren Stäben gab es erhebliche Rivalität, besonders zwischen dem Beratungsdienst des Landwirtschaftsministeriums und den ähnliche Funktionen ausübenden Beamten der Village-Aid-Administration. Oft ließ die fachliche Kenntnis der Mitarbeiter zu wünschen übrig. Von den traditionellen Beamten wurde die Village-Aid-Administration als Sammelbecken für Radikale im öffentlichen Dienst angesehen. Vom Standpunkt eines Beamten, der noch in der Kolonialverwaltung groß geworden ist, war dies sogar verständlich.

Als schließlich die Korruption in der Village-Aid-Administration immer mehr zunahm, wurden 1959 mehrere Kommissionen zu Untersuchungen eingesetzt. Im Jahre 1960 wurde die Village-Aid-Administration aufgelöst. Die Gründe dafür sind nicht ganz durchsichtig. Zwar waren die Erfolge begrenzt, aber sicher war die Zeit oft zu kurz, als daß es schon zu einer Dynämisierung der Dorfgemeinden hätte kommen können. Die einflußreiche Food and Agricultural Commission von 1959 empfahl, alle Aktivitäten wieder den „normalen" Ministerien zuzuführen (was nicht erstaunlich war, da sie sich weitgehend aus Vertretern des Landwirtschaftsministeriums zusammensetzte). Die Evaluierungs-kommission für das Village-Aid-Programm unter Leitung des Wirtschaftswissenschaftlers Professor AKHTAR beschränkte sich auf quantifizierbare Erfolge und kam zu einem vernichtenden Urteil. Möglicherweise wurde in Kreisen um den Präsidenten Ayub bereits die spätere Basic-Democracies-Konzeption diskutiert, die nicht parallel zum Village-Aid-Programm zu implementieren war. Die Entscheidung der Amerikaner, das Village-Aid-Programm nicht weiter finanziell zu unterstützen, (wobei offenbleibt, was diese Entscheidung bewirkt hat) war sicherlich der formale Anlaß, dieses Programm zu beenden.

Die Aufhebung der Village-Aid-Administration im Jahre 1960 bedeutete natürlich nicht das Ende aller Aktivitäten zur Besserung der Lebenssituation auf Dorfebene. Nur der Begriff 'Community Development' wird seither nicht mehr verwendet. Man benutzt jetzt andere Namen und Methoden.

Wichtigste Änderung gegenüber der Village-Aid-Zeit war die Aufgabe des integralen Ansatzes und die Verteilung der Aufgaben — die sich ja kaum geändert hatten — auf verschiedene Träger mit verschiedenen Förderungsmethoden.

Die Förderung der Landwirtschaft wurde technisch wieder dem Landwirtschaftsministerium mit seinem Beratungsdienst und verschiedenen angegliederten Sonderorganisationen übertragen. Methodisch spielte eine merkliche Erhöhung der Agrarpreise eine Rolle, mit der den Landbewirtschaftern Anreiz und Mittel zur Produktionserhöhung in die Hand gegeben wurden. Es wurde also nicht der Gemeinsinn, sondern das Privatinteresse und die Privatinitiative des einzelnen Landwirts angesprochen. Tatsächlich zeigte sich eine beachtliche Reaktion in Gestalt von Produktionssteigerungen. Auch die anderen Sachgebiete wie Gesundheit, Erziehung usw. wurden wieder den Fachressorts übertragen. Die lokale Selbstverwaltung wurde einem System der „Basic Democracies" übertragen, einem mehrstufigen System von Räten, die auf der untersten Stufe direkt gewählt, auf höheren Stufen zur Hälfte aus technischen Beamten und „Führungskräften" ernannt wurden. Unterste und wichtigste Stufe war das Union Council, in dem 6000 bis 10000 Menschen aus 8 bis 10 Dörfern zusammengefaßt waren. Es war zuständig für Wohlfahrt- und Entwicklungsaufgaben, wobei es bestimmte Aufgaben übernehmen konnte, aber nicht mußte. Dadurch wurde die unterschiedlich entwickelte lokale Führungsfähigkeit berücksichtigt Während die unteren Gremien planen, ausführen und überwachen sollten, kam den höheren Gremien die Koordination und Genehmigung aller Vorhaben zu, für die Zuschüsse benötigt wurden. Mit diesem System war der wirtschaftliche Entscheidungsprozeß stark dezentralisiert worden, nicht dagegen der Prozeß der politischen Entscheidungen.

Das Basic-Democracies-System hat eine schnelle Entwicklung durchlaufen (INAYATULLAH, 1964). Zunächst wurden meist die älteren Führungsschichtenteils unter deren Druck - in die Gremien gewählt. Bei späteren Wahlperioden kam es jedoch zu einer zunehmenden Umstrukturierung der Führungskräfte. Nicht selten gelangten Landarbeiter und Handwerker in die Union Councils. Auch die Anzahl der Aktivitäten haben im Laufe der Zeit mit wachsenden Erfahrungen zugenommen. Insbesondere die Integration des Rural-Works-Programms in das Basic-Democracies-System brachte einen erheblichen Aufschwung. Dieses Beschäftigungsprogramm sollte mit staatlichen Geldern die Infrastruktur entwickeln und gleichzeitig Arbeit und Einkommen für ärmere Bevölkerungsschichten schaffen. Es wurde hinsichtlich Planung, Ausführung und Überwachung ganz dem Basic-Derhocracies-System übertragen und hat diesem dadurch erheblichen Auftrieb gebracht, daß es den Räten Gelegenheit gab, etwas Sichtbares für das Dorf zu bewirken. Bemerkenswert ist, daß das Rural-Works-Programm materielle Hilfen gab und nicht primär an freiwillige Leistungen appellierte.

Der soziale Wandel unter dem Basic-Democracies-System ergab sich aus dem Zusammenwirken mehrerer Faktoren. Zunächst ist eine Beteiligung der Dorfbewohner an der Außenwelt und eine Aktivierung örtlicher Führungskräfte zu nennen. Die sichtbaren Erfolge und der allgemeine Aufschwung hatten psychologische Wirkungen und nicht unwesentlich war sicher die Steigerung des Nationalgefühls durch den Krieg mit Indien (1965).

Eine Beurteilung der Erfolge kommt für diese Periode eindeutig zu einem besseren Urteil als für die frühere Village-Aid-Zeit. Materiell waren erhebliche Fortschritte zu verzeichnen. Der Lebensstandard großer Teile der Bevölkerung stieg merklich an. Die Politik der Preisanreize bewirkte eine Zunahme der Agrarproduktion und der landwirtschaftlichen Einkommen. Durch das Rural-Works-Programm wurde die Infrastruktur verbessert und den nichtlandbesitzenden Schichten eine Möglichkeit gegeben, durch Zuverdienst ihre Einkommenslage zu verbessern. Auch hinsichtlich des Zieles 'sozialer Wandel' war ein Durchbruch festzustellen. Die Lethargie der Massen wurde durch ein politisches Bewußtsein abgelöst. Der wirtschaftliche und soziale Wandel wurde bejaht. An manchen Erscheinungen war das Aufbrechen der alten Sozialstruktur festzustellen. Zwar wurde die Erziehungsaufgabe nicht so stark verfolgt wie zur Village-Aid-Zeit. Die Verwaltung gab sich mehr paternalistisch. Aus dem Förderungsagenten auf Dorfebene war z. B. ein Union-Council-Sekretär geworben. Aber bei allen Mängeln des neuen Systems baute es doch in kurzer Zeit seines Bestehens eine gute Grundlage für Selbstverwaltung und Selbstverantwortung auf. Offensichtlich ist es gelungen, eine Reihe der Mängel des früheren Village-Aid-Konzepts zu vermeiden bzw. zu überwinden.

a) Personelle Probleme waren zwar auch vorhanden, aber sie hatten nicht die gleichen Auswirkungen. Das System hing weniger von Förderungsagenten als von der eigenen Initiative des einzelnen Landwirts ab.

b) Das Dorf wurde nicht als soziale Einheit angesprochen, sondern die einzelnen Interessen. Wann immer Gruppen aktiviert wurden, dann Teilgruppen der Dorfbewohner in gleicher Lage (die Landwirte bei der Agrarproduktion, die Arbeiter in Rural-Works-Programms usw.), so daß Interessengegensätze keine große Rolle spielten. Die Zusammenfassung mehrerer Dörfer im Union Council bewirkte, daß innerdörfliche Differenzen nicht zu stark zum Tragen kamen.

c) Die politischen Voraussetzungen waren besser. Eine zwar 'milde' Agrarreform war den Grundbesitzern eine Warnung und zeigte den Landlosen die Grenzen der Macht der Landlords auf. Eine starke Regierung erfreute sich der Zustimmung und Unterstützung besonders der ländlichen Bevölkerung und ordnete die politische Willensbildung in einem System, das zwar besoners bei den höheren Stufen nicht befriedigte, aber doch einen gewissen Fortschritt brachte.

d) Die Idee des Mehrzweckprogramms wurde stark eingeschränkt. Insbesondere kam es zu einer klaren Trennung zwischen ökonomisch kurzfristig wichtigen Aufgaben, besonders in der Landwirtschaft, und dem langfristigen Ziel des sozialen Wandels.

Andererseits gab es auch hier eine ganze Reihe von Mängeln. Nicht alle Aktivitäten des Rural-Werk-Programms waren ökonomisch sinnvoll. Am gravierendsten war wohl, daß wiederum Beamte mit der Administration eines Programmes beauftragt wurden, das mitzunehmendem Erfolg immer mehr von ihren eigenen materiellen und sozialen Privilegien und denen der Schichten, aus denen sie sich rekrutierten, wegnehmen mußte. Kurzfristig wurden diese Mängel jedoch eindeutig vom Erfolg überdeckt.

Aus allen diesen Gründen hatte es zunächst den Anschein, als ob das pakistanische Modell mehr Erfolgschancen gehabt hätte, als der konventionelle Community-Development-Ansatz. Dies erwies sich jedoch als nicht zutreffend. Der patriarchalistisch-kapitalistische Ansatz (freie Bahn dem Tüchtigen und soziale Maßnahmen für die, die nicht mitkommen) führte in dem Moment zum Kollaps, als die „Tüchtigen" zu erfolgreich wurden. Ab Mitte der sechziger Jahre machte die beginnende Grüne Revolution mit ihren ungewöhnlich hohen Ertragssteigerungen diejenigen immer reicher, die über genug bewässerten Boden und Kapital verfügten, während die anderen kaum Anteil an den Entwicklungserfolgen hatten. Dies gilt nicht nur für einzelne Bevölkerungsgruppen, sondern auch für die verschiedenen Regionen. Diese Strategie bewirkte erhebliche Produktionssteigerungen und gleicht den Erfahrungen industrialisierter Länder im Frühkapitalismus. Durch vergrößerte Einkommensdisparitäten und wachsende Polarisierungen kam es zu Spannungen, die - in Verbindung mit anderen Einflüssen — einen Regierungswechsel und damit auch das Ende des Basic-Democracies-Systems bewirkten. Das zunächst vielversprechende Programm erwies sich somit nicht geeignet als ein Modell zur sozialökonomischen und politischen Entwicklung ländlicher Gebiete.