Ländliche Beschäftigungsprobleme im tropischen Afrika

Von Frithjof Kuhnen*


Afrika ändert sein Gesicht mit einem selbst für unsere schnellebige Zeit ungewöhnlichen Tempo. Innerhalb eines Jahrzehnts erhielt die Mehrheit der Gebiete die politische Unabhängigkeit. Sehr bald traten bis dahin unbekannte sozialökonomische Probleme auf, deren Lösung schwierige Aufgaben für die jungen Regierungen darstellen. Ein typisches Beispiel hierfür ist die schnelle Veränderung der Beschäftigungssituation in Afrika. Noch im Jahre 1960 kam das Internationale Arbeitsamt in einem Bericht zu der Feststellung, daß es — von lokalen Ausnahmen abgesehen — in Afrika keine unfreiwillige Arbeitslosigkeit gebe (17, S. 36). Nur fünf Jahre später bildet die Arbeitslosigkeit besonders der vom Lande in die großen Städte einströmenden Jugend eines der Hauptprobleme vieler afrikanischer Staaten und gibt wegen seiner weitreichenden sozialen, wirtschaftlichen und politischen Konsequenzen Anlaß zu fachlichen Debatten und praktischen Maßnahmen auf nationaler und internationaler Ebene.

Die Ursache dieser Entwicklung ist auf verschiedenen Gebieten zu suchen. Ein merkliches Absinken der Sterberaten als Folge immer breiterer Anwendung medizinischer Erkenntnisse führt bei unverändert hohen Geburtenziffern zu schnellem Bevölkerungswachstum. Die jährliche Zuwachsrate liegt bei 2 bis 2,5 v. H., in manchen Staaten noch darüber. Bei der Ursache dieser hohen Bevölkerungszunahme ist auch nicht damit zu rechnen, daß hier in naher Zukunft ein "Wandel eintritt. In zunehmendem Maß erreichen die geburtenstarken Jahrgänge das erwerbsfähige Alter, während gleichzeitig die allgemeine Beteiligung am Erwerbsleben wegen steigender Wünsche und Erwerbsneigung zunimmt.

Dieser Zunahme des Angebots steht aber keine entsprechende Ausdehnung der Nachfrage nach Arbeitskräften gegenüber. Die Bemühungen um eine Industrialisierung und eine allgemeine wirtschaftliche Entwicklung brachten zwar eine gewisse Erhöhung des Angebots an nichtlandwirtschaftlichen Arbeitsplätzen, aber bei weitem nicht in gleichem Ausmaß wie die Zunahme der Arbeitssuchenden.

Außerdem ging besonders in Ostafrika das Arbeitsplätzeangebot als Folge der allgemeinen Unsicherheit nach der Unabhängigkeit und teilweisen Umstellung auf kapitalintensivere Arbeitsverfahren wegen schlechter Erfahrungen mit den unsteten Arbeitskräften wieder zurück. Ein Vergleich der Indizes für die Jahre 1958 und 1963 zeigt (30), daß manche Länder, besonders Westafrikas, eine gewisse Zunahme aufzuweisen haben, die aber durch einen Rückgang des Beschäftigungsvolumens in anderen Ländern wieder ausgeglichen wird. Im Schnitt der Länder Tropisch-Afrikas hat sich das nichtlandwirtschaftliche Beschäftigungsvolumen nicht verändert. Man kann schließen, daß sich mangels anderer Möglichkeiten die Zahl der von der Landbewirtschaftung Lebenden entsprechend stark erhöht hat. Das gleiche dürfte auch für den tertiären Sektor gelten.

Zu den folgereichen Umwälzungen der letzten Jahre gehören auch die Veränderungen in der Produktionsleistung je Arbeitskraft. Der moderne Sektor hat starke Erhöhungen in den je Arbeitskraft geschaffenen Werten zu verzeichnen. Es muß dahingestellt bleiben, wieviel davon eine echte Erhöhung der Arbeitsproduktivität ist, welcher Anteil auf die Wirkung von Kapitalinvestitionen kommt und wieweit es sich nur um die Auswirkungen von Preiserhöhungen handelt. Der Effekt war jedoch eine beachtliche Erhöhung der Einkommen der im modernen Sektor Beschäftigten, wobei diese teils in Form von Lohn- und Gehaltserhöhungen, teils in Form von Beförderungen, nicht zuletzt im Zuge der Afrikanisierung höherer Stellungen, erfolgte.

Im Gegensatz hierzu ist trotz teilweiser Erhöhung der Agrarproduktion das Einkommensniveau in der Landwirtschaft gefallen oder doch unterdurchschnittlich gewachsen. Eine beachtliche Rolle spielen dabei die ungünstigen terms of trade für landwirtschaftliche Produkte. Im Zusammenhang mit der oben erwähnten Zunahme der in der Landwirtschaft lebenden Bevölkerung muß ein Stagnieren oder gar Absinken des Einkommens im Sektor Landwirtschaft zu einem Absinken des Pro-Kopf-Einkommens in diesem Sektor führen. Die wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahre hat also einen Anstieg von Produktivität und Einkommen in dem kleinen modernen Sektor der Wirtschaft gebracht, während in der Landwirtschaft und damit für die Masse der Bevölkerung der Lebensstandard gesunken ist. Die Einkommensschere zwischen dem produktiven Teil der städtischen Bevölkerung und der Masse der Landbewohner hat sich erheblich geweitet.

Auf diesem Hintergrund stellen sich auch die Aspekte der Beschäftigung in verändertem Licht dar. Die Zunahme der auf dem Lande lebenden Bevölkerung bei stagnierender Agrartechnik bewirkt ein Ansteigen der ländlichen Unterbeschäftigung. Unbefriedigende Verhältnisse auf dem Lande und Anziehungskraft der Städte bringen zahlreiche junge Leute dazu, ihren ländlichen I.ebensraum und ihre bisherige berufliche Tätigkeit aufzugeben und in der Stadt eine bessere Existenz zu suchen. Änderungen in Arbeitsorganisation und sozialer Sicherung in den Fabriken und Plantagen führen zu einer Umformung der seit langem typischen saisonalen Wanderungen der Arbeitskräfte.

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*) Der Verfasser war im Herbst 1965 als Expert, Rural Employment, beim Internationalen Arbeitsamt tätig und hat an einer Konferenz dieser Organisation über „Ländliche Beschäftigungsprobleme im tropischen Afrika" in Lagos teilgenommen.