3. Methodische Fragen

Nach Aufzeigen einer Reihe von Problemfeldern und dem dort bestehenden Forschungsbedarf soll zum Schluß noch auf einige mehr methodische Aspekte eingegangen und auf wünschenswerte Schwerpunktverlagerungen der agrarsoziologischen Entwicklungs-länderforschüng hingewiesen werden:

  1. Die agrarsoziologische Forschung in der Dritten Welt sollte
    sich von der Behandlung von Einzelaspekten mehr der Untersuchung von Prozessen zuwenden. Dem stehen viele Probleme entgegen. Sie erfordern oft, Forschergruppen aufzustellen, deren Finanzierung und Plazierung in anderen Ländern nicht einfach ist. Daß Forschung häufig Doktorandenforschung ist, macht das Problem nur größer. Andererseits widerspricht es der soziologischen Betrachtungsweise, wenn aus einem sozialen System mit ständiger Interaktion der einzelnen Bestandteile ein Teil künstlich herausgetrennt und untersucht wird. Bei allen Vorteilen der Isolation - auch als Methode - müssen
    sich hier Grenzen der Erkenntnis ergeben.
  2. Es erscheint eine stärkere Berücksichtigung von Lanqzeituntersuchunqen gegenüber Momentaufnahmen wünschenswert, um nicht nur Zustände, sondern auch Verläufe der Anpassung oder Änderung zu erfassen und damit eigentlich soziologischer Betrachtung gerecht zu werden. Ein Weg dazu besteht vielleicht in einem Rückgriff auf die zahlreichen empirischen Untersuchungen der 60er und frühen 70er Jahre und deren Wiederholungen am gleichen Objekt.
  3. Während die frühe deutsche Agrarsoziologie recht theoretisch orientiert war und stark spekulativen Charakter hatte,
    hat sich die Disziplin in der Nachkriegszeit und damit auch
    bei der Behandlung der Entwicklungsländerfrage sehr empirisch und problemorientiert entwickelt. Dabei spielten sicher die vordergründigen Probleme und die Auftraggeber eine Rolle, aber auch die Tatsache, daß man die bestehende Ordnung bis zum Ende der 60er Jahre ja kaum in Frage stellte, folglich sich Problemen innerhalb dieser Ordnung und Problemen der Anpassung an diese Ordnung widmete. Bei aller Bedeutung dieser Forschung erscheint eine Hinwendung zu mehr theoretischer Arbeit, zu makrosoziologischen Fragen über die fundamentalen Prozesse des sozialen Wandels doch wünschenswert.
  4. Bei der Aufzählung der Forschungsprobleme mag mancher sich gesagt haben, daß es sich ja nicht nur um soziologische, sondern auch um ökonomische Fragen gehandelt habe. Nun handelt es sich ja zunächst um Probleme, und Probleme fragen nach Lösungen und nicht nach Disziplinen.

Darüber hinaus handelt es sich aber vielfach um eine unterschiedliche Betrachtungsweise derselben Problematik. Die Ökonomie betrachtet wirtschaftliche Prozesse "innerhalb eines Datenkranzes" und gewöhnlich unter Vernachlässigung der sich außerhalb des Marktes vollziehenden Vorgänge. Bei uns mag es gerechtfertigt sein, die ja nur begrenzt differierenden soziologischen und politischen Daten "ceteris paribus" auszuklammern. In der Dritten Welt differieren diese Daten aber unvergleichlich stärker, und weite Teile des Handelns finden außerhalb des Marktes statt. Zur Erklärung der "konkreten ökonomischen Phänomene" im Sinne PARETOs (5) ist aber die Soziologie nötig, um etwa die Produktionsfaktoren in ihrem Sö-sein und in ihrer sozio-kulturellen Veränderung zu untersuchen. So ist erst das Zusammenwirken von Ökonomie und Soziologie bei der Bearbeitung der Probleme in der Läge, realitätsbezogene Lösungen zu erzielen.

EISERMANN (2) hat dies vor jetzt 20 Jahren auf der Tagung der GEWISOLA so ausgedrückt: "Soziologie ohne Nationalökonomie ist blind, aber ebenso gewiß ist Nationalökonomie ohne Soziologie leer." Die deutsche Agrarsoziologie ist für diese Forderung schon durch die fachliche Herkunft ihrer meisten Vertreter recht aufgeschlossen. In den letzten 25 Jahren, in denen ich die Entwicklung der Agrarwissenschaft verfolgen kann, ist auch die Agrarökonomie einen guten Schritt in die notwendige Richtung gegangen.

Da gerade die Agrarprobleme der Entwicklungsländer ein Zusammenspiel von Agrarökonomie und Agrarsoziologie verlangen, vermag die wissenschaftliche Beschäftigung mit den Problemen der Dritten Welt vielleicht einen Anstoß zu geben zur Wiederherstellung der Einheit der Sozialwissenschaften auf dem Agrar-sektor.


1. CONSTANDSE, A.K. und HOFSTEE, E.W.
Rural Sociology in Action,
FAO Agricultural Development Paper No. 79, Rome 1964, S. 3
2. EISERHANN, G.
Die Beziehungen zwischen Nationalökonomie und Soziologie in: Landentwicklung, soziologische und ökonomische Aspekte, München 1966, S. 11-30
3. FICHTER, J.H.
Grundbegriffe der Soziologie, Wien 1968
4. NEUNDÖRFER, L.
Artikel: Agrarsoziologie
in: Staatslexikon Bd. l, 6. Aufl., Freiburg 1957
5. PARETO, V.
zitiert nach (2)
6. TRAPPE, P.
Vorbemerkungen zu einer Entwicklungssozialogie, SSIP Bulletin 49/50, 1979, S. 268-337