Zum Ersten: Was ist Land und Landwirtschaft?


Ich hatte schon auf die zunehmende Differenzierung zwischen einer kleinen, wohlhabenden, modernen Schicht meist größerer Landbewirtschafter und einer großen Zahl mehr der Tradition verhafteter ländlicher Haushalte hingewiesen. Diese Differenzierung mag zu zwei ethischen Systemen führen. Das eine ist durch schumpeter'sche Unternehmer gekennzeichnet, das andere durch alte agrargesellschaftliche Beziehungen mit Loyalität und Patronage incl. Korruption. Gerade der moderne Bevölkerungsteil versteht zwischen beiden zu springen und sich das vorteilhafteste herauszusuchen.

Die traditionellen ländlichen Haushalte verlieren in stark ansteigendem Maß das Interesse an der Landbewirtschaftung, und besonders die junge Generation sieht hier keine Zukunft mehr. Sie wandert ab, oft nach langem Suchen, zeitweise oder ganz, unter Beibehaltung ihres ländlichen Wohnsitzes oder an entfernten Orte, ja international. Das Gastarbeiterwesen umfaßt viele Millionen Menschen in allen Erdteilen.

Unter diesen Umständen haben wir es nicht mehr mit Landwirtschaft zu tun, sondern mit ländlichen Haushalten, die die vorhandene Arbeitskraft dort einsetzen, wo sie gefragt ist. Ein Teil der Angehörigen mag die Acker bewirtschaften, besonders die alten Leute, andere nehmen nicht landwirtschaftliche Tätigkeiten auf, am Ort oder anderswo, auf Dauer, für einen Teil des Lebens oder nur für einige Zeit. Wie die Arbeit in und außerhalb der Landwirtschaft eingesetzt wird, kann auch das Einkommen im Betrieb investiert werden, oder die Erwerbskombination ist ein Schritt im Übergang aus der Landwirtschaft heraus. Zwischen landwirtschaftlicher Entwicklung und Entwicklung anderer Sektoren in einer Region bestehen enge, im einzelnen wenig bekannte Zusammenhänge.

Die Migranten aus einem Dorf sammeln und unterstützen sich oft in der Stadt, und es entsteht 'das Dorf in der Stadt', wie umgekehrt die Abwanderer zeitenweise ins Dorf zurückkehren und städtische Erfahrungen und Lebensformen ins Dorf bringen. Nicht selten gibt es einen materiellen Austausch: Arbeitsleistungen zur Erntezeit gegen Produkte des väterlichen Betriebes. Der Begriff 'Landflucht' bedarf der Überprüfung.

Was ist hier Land, was Landwirtschaft? Es liegt auf der Hand, daß Fragen wie Förderungsbedürftigkeit, Investitionsfähigkeit, Interesse an der Landwirtschaft ganz anders zu beurteilen sind, je nachdem um welche Art Haushalt es sich handelt. Haushalte mit Erwerbskombination können als Erzeuger und als Verbraucher agieren. Wann und unter welchen Umständen dies geschieht, ist weitgehend unbekannt. Eine sektorale Agrarförderung stößt hier auf große Probleme und bleibt leicht wirkungslos oder nützt nur den modernen größeren Betrieben. Nichtlandwirtschaftliche Beschäftigungsförderung mag hier viel wirkungsvoller sein. Nicht jeder Kleinbauernsohn ist glücklich in der Landwirtschaft und sieht dort seine Zukunft. Mit Agrarförderung vermag man nur einem Teil, und zwar einem immer kleiner werdenden Teil der Landbevölkerung zu helfen.

Wenn Hunger in erster Linie Mangel an Kaufkraft ist, dann ist Kaufkraftschaffung ein wesentlicher Weg zur Überwindung des Hungers. Das bisher Gesagte deutet an, daß dies insbesondere im nichtlandwirtschaftlichen Bereich geschieht und geschehen muß. Möglichkeiten zur Aktivierung der bereit laufenden Prozesse müssen Gegenstand zukünftiger Forschung sein.