Veränderungen im Rahmen des sozialen und ökonomischen Wandels

Die Erfahrung aus Dörfern, in denen der Entwicklungsprozeß bereits weit fortgeschritten ist, zeigt, daß Sep-Verhältnisse meist anläßlich des Generationenwechsels gelöst werden. Es handelt sich dabei also nicht um einen Berufswechsel älterer Kammis, sondern um ein Nicht-Übernehmen ererbter Sep-Beziehungen seitens der jüngeren Generation. In einem Untersuchungsdorf haben nicht weniger als 83 v. H. der ansässigen Fabrikarbeiter diese Tätigkeit nach Schulabschluß oder — falls keine Schule besucht wurde — direkt nach Eintritt ins erwerbsfähige Alter aufgenommen. Solch ein Wechsel geht naturgemäß viel friktionsloser vor sich als ein Wechsel im Laufe des Lebens.

Die Mehrzahl der jungen Leute ist bei der Übernahme des neuen Berufes noch ledig. In einem Dorf, in dem erst in den letzten Jähren Kleinindustrie entstand, waren 74 v. H. der Fabrikarbeiter nicht älter als 24 Jahre. Diese jungen Leute können die mit dem Wechsel verbundenen Risiken leichter tragen als ältere Menschen. Außerdem wird die Versorgung der Zamindare
mit Dienstleistungen zunächst nicht beeinträchtigt, da ja die Väter ihren Beruf weiterhin ausüben. Daher widersetzen sich die Zamindare einem Berufswechsel dieser Art nur wenig.

Die jungen Leute scheiden meist freiwillig aus der traditionellen Berufstätigkeit der Familie aus, weil ihnen Art der Arbeit und Verdienst bei anderen Tätigkeiten mehr zusagen. Erwachsene wechseln dagegen den Beruf mehr unter dem Zwang schlechter wirtschaftlicher Verhältnisse. Dies kommt besonders bei Kammis vor, die durch die technische Entwicklung ihre Funktion verloren haben oder die wegen verringerter Zahl von Zamindaren, Änderung der Techniken usw. in ihrer Tätigkeit nicht ausgelastet sind.

Bei einem Berufswechsel spielen meist zwei Motive eine Rolle, wobei im Einzelfall das eine oder andere überwiegt. Erstens wird eine Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse angestrebt, und zum anderen sucht man größere Unabhängigkeit 'und Befreiung von den Bindungen des Sep-Systems. Beide Motive ergeben sich durch Vergleich mit anderen Personen aus dem eigenen Lebens- und Erfahrungsbereich. Sie pflegen in dem Maße stärker wirksam zu werden, wie die Vergleichsmöglichkeiten zunehmen. Maßgeblich für den Entschluß zum Berufswechsel ist schließlich die subjektiv empfundene Unzufriedenheit mit den bestehenden Verhältnissen, nicht dagegen die objektiven Gegebenheiten. In abgelegenen Dörfern, in denen geringe Vergleichsmöglichkeiten bestehen, ist die Unzufriedenheit bei objektiv sehr schlechten Verhältnissen teilweise geringer als in stadtnahen Gebieten unter erheblich besseren Lebensbedingungen.

Die Kammis haben beim Berufswechsel eine ganze Reihe von Problemen zu überwinden. Die Lösung aus dem Sep-Verhältnis ist besonders deshalb so schwierig, weil sie schlagartig erfolgen muß. Zu den Verpflichtungen der Kammis gehört nämlich, daß sie täglich, ja beinahe stündlich auf Abruf den Zamindaren zu Dienstleistungen zur Verfügung stehen müssen. Diese ständige Arbeitsbereitschaft hindert sie daran, eine Nebentätigkeit aufzunehmen, um so langsam den Wechsel zu längerer Berufstätigkeit vorzubereiten. Wenn sie aber die Sep-Beziehunigen abbrechen, um etwa in einer Fabrik zu arbeiten, dann verlieren sie automatisch auch das Wohnrecht im Dorfe. Das Haus, das sie sich >auf von den Zamindaren zur Verfügung gestelltem Boden errichtet haben, gehört zwar ihnen. Da sie es aber nicht mitnehmen können, sind sie beim Verkauf in schlechter Verhandlungsposition und erzielen gewöhnlich nur einen geringen Preis. Außerdem müssen sie unter diesen Umständen nicht nur in einem neuen Beruf Fuß fassen, sondern auch neue Wohnung für ihre Familie beschaffen. Damit ist natürlich das Risiko stark erhöht und der Berufswechsel erschwert. Hinzu kommt, daß die Zamindare oft starken Druck auf die Kammis ausüben, im Dorf zu bleiben. Androhung von Prügel, Verleumdung bei dem in Aussicht genommenen Arbeitgeber und ähnliche Maßnahmen sind keine Seltenheit.

Für den Kammi kommt erschwerend noch hinzu, daß er sich nicht nur gegen den Wunsch und Willen der Zamindare stellt, sondern einen Bruch mit der Tradition vollziehen muß, wonach jede Kaste einen bestimmten ererbten Beruf ausübt. Diese Tradition bewirkt auch, daß er meist keine oder nur geringe Fachkenntnisse anbieten kann und im allgemeinen auch des Lesens und Schreibens nicht mächtig ist. Dadurch ist seine Position auf dem Arbeitsmarkt geschwächt, die in einem Land mit hohem Arbeitskräfteangebot und Mangel an Arbeitsplätzen sowieso schon schlecht ist.

Die Arbeitsmarktsituation bildet eine weitere Erschwernis des Berufswechsels und macht ihn risikoreicher. Je größer die Nachfrage nach Arbeitsplätzen, desto geringer ist für den einzelnen die Sicherheit des Arbeitsplatzes und die Gefahr, bei mangelhafter Leistung, aber auch auf Grund von Willkür des Aufsichtspersonals, entlassen zu werden. Besonders nachteilig ist hierbei, daß aus schon beschriebenen Gründen ein langsames Sich-Herauslösen aus der dörflichen Arbeitsbeziehung mit der Möglichkeit der Rückkehr nicht möglich ist.

Die bisher geschilderte Situation — latentes Unbehagen, aber große Schwierigkeiten beim Berufswechsel — ist bis heute kennzeichnend für die Mehrheit der Agrargebiete in Pakistan. Teilweise ist die Entwicklung allerdings schon weiter fortgeschritten. Neben größerem Arbeitsangebot durch Errichtung von Fabriken spielt besonders das Beispiel der Flüchtlinigsfamilien eine große Rolle. Die Flüchtlinge, die nach der Teilung Indiens in großer Zahl in das Land gekommen sind, mußten zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes ohne Rücksicht auf Kastentradition und frühere berufliche Tätigkeit jede sich bietende Arbeit aufnehmen. Teilweise fanden sie diese in der sich bildenden Industrie und erreichten, besonders wenn mehrere Familienangehörige erwerbstätig waren, beachtliche Familieneinkommen. Oft waren sie die ersten, die Gegenstände des demonstrativen Konsums — Transistorradio, Feuerzeug, Taschenmesser — im Dorf besaßen und erweckten so den Neid ihrer Mitbewohner und den Wunsch, ebenfalls zu Bareinkünften und damit zu einem höheren Lebensstandard zu kommen.

Die Flüchtlinge begannen also mit einem Berufswechsel außerhalb des traditionellen Rahmens und gaben damit ein Beispiel. Mit der Existenz dieser außerhalb des Dorfes in den Städten und Handelszentren arbeitenden Personen wurde die integrierende Kraft des gemeinsamen um die Landwirtschaft kreisenden Interesses der Gesamtbevölkerung im alten Dorf durchbrochen. War erst einmal der Anfang gemacht, dann folgten viele Kammis dem Beispiel der Flüchtlinge. So haben z. B. in einem vom Verfasser untersuchten größeren Dorf über zwei Drittel der Schmiede, Schuster, Weber, Ölmüller, Wasserträger und Wäscher ihren traditionellen Beruf aufgegeben und sich einen anderen Arbeitsplatz gesucht. Dabei ist eine Tendenz zur Übernahme eines verwandten Berufes festzustellen, bei dem Fertigkeiten und Materialkenntnisse verwertet werden können. So wird z. B. ein Schmied Fahrradmechaniker, ein Zimmermann Tischler, ein Töpfer Maurer.

Nicht immer kommt es bei diesen Umwandlungsprozessen zu einem Wechsel im Beruf, sondern teilweise zu einem Wechsel in der Stellung im Beruf. So wird aus dem Dorfweber im Sep-Verhältnis ein Fabrikweber; Schmiede machen teilweise eine kleine Produktionswerkstatt in der Stadt auf und Barbiere ein entsprechendes Geschäft. Schuster und Zimmerleute gehen zur Arbeit nach Einzelauftrag und gegen Barzahlung über. An die Stelle des patriarchalisch-feudalen Sep-Systems mit langfristiger Leistungs- und Sorgepflicht tritt also eine monetäre Beziehung mit Begrenzung auf den Einzelauftrag. Damit haben die betreffenden Kammis zwar ihre Unabhängigkeit erreicht, gleichzeitig aber auch die Sicherheit des Sep-Systems eingebüßt. Aus Sicherheitsgründen, z. T. aber auch wegen der persönlichen Beziehungen, bestehen zahlreiche Mischformen, bei denen gleichzeitig ein Geschäft in der Stadt unterhalten wird, aber noch Sep-Beziehungen zu einer Reihe von Familien im Dorf aufrechterhalten werden.
Die eben geschilderte Abwendung vom traditionellen Sep-System ist nur möglich, weil sich mit dem Entstehen alternativer Erwerbsmöglichkeiten die Machtverhältnisse im Dorf geändert haben. Während früher keine Existenz ohne Zustimmung und Wohlwollen der Zamindare möglich war, laufen diese jetzt in Dörfern, in deren Umgebung alternative Erwerbsmöglichkeiten geboten sind, Gefahr, ihre Dienstleistungsbedürfnisse nicht mehr erfüllt zu bekommen. Von einem gewissen Moment im Prozeß der Umwandlung der Sozialstruktur an müssen die Zamindare den Kammis weitgehende Konzessionen machen, damit sie diese überhaupt auf dem Dorfe halten können. Insbesondere erlischt meist die ständige Präsenzpflicht und Arbeitsbereitschaft, wodurch die Kammis die Möglichkeit zu einem Zuverdienst außerhalb des Sep-Verhältnisses haben. Häufig beschränkt sich die Arbeit der Kammis auf Tätigkeiten in ihrem Beruf, während alle sonstigen Hilfsarbeiten entfallen. Die Tendenz geht zur Arbeit nach Einzelaufträgen und gegen Geldbezahlung, also auf eine Ablösung des Sep-Systems.

Dieser Prozeß geht bei den einzelnen Berufen unterschiedlich schnell vor sich und hängt von der Nachfrage nach den einzelnen Berufen außerhalb des Dorfes ab. Schmiede sind z. B. sehr gesucht, und auch Barbiere haben gute Arbeitsmöglichkeiten in der Stadt. Sie lösen sich im allgemeinen schneller als etwa Wasserträger u. ä., für die keine spezielle Nachfrage besteht. Außerdem spielt das Alter der Kammis eine Rolle. Ältere Personen pflegen die Sep-Beziehungen aufrechtzuerhalten, weil sie die Sicherheiten des Systems nicht verlieren wollen, jüngere neigen zu geldwirtschaftlichen Arbeitsbeziehungen.

Die empirischen Untersuchungen des Verfassers in verschiedenen Dörfern ergaben allerdings, daß für die Mehrzahl der Kammis der Berufswechsel nur geringfügige wirtschaftliche Besserstellung mit sich brachte. Entsprechend der Arbeitsmarktlage sind die Löhne in der Industrie so gering, daß der Verdienst kaum höher ist als die Einkünfte im Sep-System. Berücksichtigt man noch, daß die Zahl der zu leistenden Arbeitsstunden höher liegt — im Dorf sind die Kammis meist nicht 'ausgelastet —, so ist kurzfristig kein nennenswerter wirtschaftlicher Erfolg des Berufswechsels festzustellen. Für die Kammis besteht der Nutzen 'zunächst in größerer Uniabhängigkeit von den Zamiindaren. Wie hoch dieser Vorteil eingeschätzt wird, geht daraus hervor, daß trotz geringer ökonomischer Anreize der Wechsel überhaupt vollzogen wird, denn der Verlust der Sicherheiten des Sep-Systems ist für Menschen ohne Rücklagen ein wesentlicher Nachteil. Da Sozialversicherungseinrichtungen erst im Aufbau sind, gehen die Kammis beim Berufswechsel zu einem Arbeitsverhältnis über, das ihnen zwar vielleicht mehr Möglichkeiten bietet, aber bestimmt 'auch größere Risiken. Im Gegensatz zum Sep-System bestehen in den neuen Arbeitsverhältnissen nämlich keine durch Sitte und Tradition gesetzten Regeln.

Hier ergeben sich Aufgaben für die Wirtschaftspolitik. Die Ablösung des Sep-Systems ist unausbleiblich. Mit ihm verschwinden traditionelle Formen der sozialen Sicherung, ohne daß bisher ausreichender Ersatz geschaffen wurde. Dieses Vakuum muß bald geschlossen werden, damit der Grad der Friktionen im Wandlungsprozeß in erträglichen Grenzen bleibt.

Der Übergang der Kammis in andere Berufe wird dazu führen, daß die Dörfer von Handwerkern entblößt werden. Auf längere Sicht kann dies nachteilige Folgen für die Agrarproduktion haben, wird bestimmt aber ihre Erhöhung erschweren. Um den dringend nötigen Bedarf der Landwirte an Schmieden, Stellmachern, Zimmerleuten usw. zu decken, werden spezielle Ausbildungsprojekte für diese Berufe nötig sein. Diese müßten den Handwerkern einen Ausbildungsstand vermitteln, der sie zu positiver Beeinflussung der Landwirtschaft in den Dörfern befähigt. Solche qualifizierten Handwerker werden dann im Dorf eine Stellung erringen, die das Verbleiben in den Landgemeinden attraktiv macht.