4. Grenzen beschäftigungsintensiver
ländlicher Entwicklung
Aus den bisherigen Überlegungen ging hervor, daß
vom technischen Standpunkt aus eine Erhöhung der Beschäftigung
in der Landwirtschaft bzw. im ländlichen Raum durchaus
möglich ist. Es stehen auch geeignete Instrumente zur
Verfügung, die die Produzenten zu einer arbeitsintensiveren
Produktion beeinflussen könnten. Wenn trotzdem bisher
auf diesem Gebiet wenig erreicht wurde, so müssen gewichtige
Kräfte dem entgegenstehen. Diese finden sich auf ökonomischem,
soziologischem und politischem Gebiet.
a) Ökonomische Begrenzungen
Die Sorge um die Ernährung einer schnell
wachsenden Bevölkerung gerade in dichtbesiedelten Ländern
verlangt die Anwendung immer neuer Technologien in der Agrarproduktion.
Gerade dieser schnelle Technologiewandel läßt
aber die Produktivitätsvorteile der Kleinbetriebe schwinden.
BOSERUP (2965) hat darauf hingewiesen, daß Bevölkerungswachstum
bei Knappheitsverhältnissen zu längerer individueller
Arbeitszeit führt, die bei konstanten Einkommen ein
Sinken der Arbeitsproduktivität bewirkt. Wegen der
abnehmenden Ertragszuwächse kann nur ein technischer
Fortschritt diesen Rückgang verhindern. Auch NINAN
(1984) weist darauf hin, daß Mehrarbeitsaufwand, welcher
auf Kosten der Produktivität geht, sozial fraglich
sei. Beschäftigungssteigerung ohne Produktivitätsrückgang
sei nurbei Technologieänderung möglich. BERGMANN
(1984) betont, daß nur bei steigender Arbeitsproduktivität
der Überschuß erzielt werden könne, aus
dem die erforderlichen Investitionen gezahlt werden können.
BERRY (1984) argumentiert, daß der
allgemein anerkannte Bedarf nach schnellen Technologieänderungen
aus dem historischen Vorteil der Kleinbetriebe einen Nachteil
mache, weil größere Betriebe neue Technologien
früher annähmen. Zwar werde der Vorteil der Kleinbetriebe
wieder hergestellt, wenn die Adoptionslücke geschlossen
sei, soweit die Technologie für Kleinbetriebe geeignet
ist. Aber bei schnellem Wandel sind größere Betriebe
zu diesem Zeitpunkt schon dabei, die nächste Technologiestufe
zu übernehmen. Dieser Umstand führt zu wirtschaftlichen
Vorteilen für den größeren Betrieb, solange
nicht typische kleinbetriebsspezifische Technologien entwickelt
werden. Dieser Trend zur größeren Wirschaftseinheit
die tendenziell weniger arbeitsintensiv arbeitet ist in
den Kerngebieten agrarischer Entwicklung, etwa der "Grünen
Revolution", zu beobachten.
WARD (1968) weist noch auf einen zweiten
Faktor hin, der den Vorteil der Kleinbetriebe reduziert.
Im Zuge der Erbteilung seien viele von ihnen inzwischen
zu klein geworden, so daß sie keine Zugtiere mehr
haben und die Bewirtschafter sich überdies nach Zuverdienst
umsehen müssen. Dies führt dazu, daß an
Zugtiermiete gespart wird. Auch die Nebentätigkeit
bewirkt suboptimale Bewirtschaftung mit niedrigen Erträgen
und niedriger Beschäftigung. Heute sind nicht mehr
bei Kleinbetrieben, sondern bei mittleren Betrieben die
Optima zu finden.
Eine weitere ökonomische Begrenzung
für vermehrte Beschäftigung ergibt sich aus den
regional unterschiedlichen Produktionsbedingungen. BRANDT
(1985) hat in einem kleinen, aber sehr wichtigen Aufsatz
darauf hingewiesen, daß in afrikanischen Trockengebieten
bei hoher Arbeitsintensität das Durchschnittsprodukt
nicht mehr höher sei als der Subsistenzanspruch. Eigene
Berechnungen für Asien kommen tendenziell ebenfalls
zu dem Ergebnis, daß bei schlechten Produktionsbedingungen,
wie sie in Trockengebieten bestehen, nur enge Grenzen für
eine Steigerung des Arbeitseinsatzes bestehen. Im Gegensatz
dazu stehen in den feuchten und bewässerten Gebieten
noch viele Möglichkeiten offen.
Schließlich gehen ökonomische Begrenzungen
für höhere Beschäftigungsintensität
von einer Änderung der Opportunitätskosten für
Arbeit aus. Traditionell wird ja im Familienbetrieb viel
Arbeit eingesetzt, weil Arbeit billig ist und man zusätzliche
Arbeiten verrichten kann, die zu höheren Lohnraten
nicht profitabel wären.
Wenn die Opportunitätskosten gleich Null
sind, kann der Arbeitsaufwand bis zur Grenzproduktivität
Null gesteigert werden. Die Entlohnung erfolgt nach dem
Durchschnittsprodukt. In neuerer Zeit nehmen aber die Opportunitätskosten
der Arbeit zu, und dies besonders in Gebieten stärkerer
Entwicklung. Hier steigen die Möglichkeiten, eine Gelegenheitsbeschäftigung
zu erhalten oder sich durch Kleinsthandel und ähnliche
"petty jobs" einen Zuverdienst zu besorgen. Schließlich
ist auch der Freizeitwert gerade bei der jüngeren Generation
in vielen Gesellschaften gestiegen. Diese Entwicklungen
begrenzen tendenziell die Möglichkeiten zu stärkerem
Arbeitseinsatz.
b) Soziologische Begrenzungen
Soziologische Begrenzungen haben ihre Ursache
in Änderungen der sozialen Beziehungen und in den ländlichen
Institutionen. So groß die Familienbande in den Entwicklungsländern
auch noch sein mögen, auch dort sinkt der Zusammenhalt
der Familie unter dem Einfluß der modernen Ausbildung
der jungen Generation, dem Umsichgreifen moderner Auffassungen,
einer veränderten Einstellung zur Landwirtschaft und
steigender Erwartungen auf höheren Lebensstandard.
Nicht jeder Schulabgänger ist bereit, bei der Bewirtschaftung
der traditionellen Betriebe mitzuwirken, ja, dies wird teils
nicht einmal erwartet. Geldrücksendungen von im Ausland
lebenden Angehörigen erhöhen nicht gerade die
Bereitschaft ihrer im Dorf zurückgebliebenen Verwandten
zu harter, wenig einträglicher Arbeit.
Auch die Änderungen der sozialen Beziehungen
auf Dorfebene in manchen Gesellschaften veischlechtern die
Chancen für vermehrten Arbeitseinsatz. Die frühere
Gemeinsamkeit, in der sich verschiedene Schichten auf die
agrarische Sicherung der Existenz konzentriert haben, ist
einer Polarisierung gewichen. JOSHI (1974) beschreibt, wie
in "Grünen Revolutions"Gebieten eine Kommerzialisierung
eingetreten ist und frühere LoyalitätsPatronage
Beziehung durch Vertragsbeziehungen abgelöst wurden,
bei denen jeder das Notwendige tut, aber eben nicht mehr.
Anstelle einer Arbeitskonzentration auf die lokale Landwirtschaft
ist eine erhebliche Mobilität getreten. Die veränderten
sozialen Beziehungen haben zu Konkurrenz, nicht selten zu
Konflikten geführt, was Anlaß zu arbeitssparenden
Mechanisierungen und Entlassungen von Arbeitern gegeben
hat.
Vielfältige Entwicklungen, unter denen
sicher die koloniale Vergangenheit von nicht geringer Bedeutung
ist, haben bewirkt, daß in vielen Entwicklungsländern
ein ausgesprochenes Defizit auf institutionellem Gebiet
besteht, woraus sich weitere Begrenzungen für eine
Erhöhung der Arbeitsintensität ergeben. Viel produktive
Verwendung von Arbeit wäre möglich, wenn nur ein
geeigneter organisatorischer Rahmen zur Verfügung stünde.
In Bewässerungsgebieten läßt die Instandhaltung
der Feldkanäle für Bewässerung und Drainage
zu wünschen übrig, Wegebau und Aufforstungen unterbleiben,
Vorkehrungen zur Wasserkonservierung werden nicht wahrgenommen.
Die Abwesenheit geeigneter Institutionen zur Sicherung eines
effizienten Managements von Boden und Wasser verringert
nicht nur die Chancen produktiver Verwendung von Arbeitskraft,
sondern bewirkt Ertragsverluste und nicht selten Gefährdung
der Existenzgrundlage.
c) Politische Begrenzungen
Die bisher genannten ökonomischen und
soziologischen Begrenzungen für eine beschäftigungsintensive
landwirtschaftliche und ländliche Entwicklung sind
gewichtig, aber beeinflußbar. Ob diese Möglichkeit
genutzt wird, entscheiden die Macht und Interessenkonstellationen
in den einzelnen Staaten. Die begrenzte politische Durchsetzungsfähigkeit
einer beschäftigungsintensiven ländlichen Entwicklung
ist der Hauptgrund dafür, daß die technisch vorhandenen
Möglichkeiten nicht wahrgenommen werden. Es muß
auch zugegeben werden, daß Beschäftigungsförderung
nur ein Ziel unter anderen ist und ein hoher finanzieller
und personeller Aufwand erforderlich wird, um die Voraussetzungen
dafür zu schaffen. Die Beispiele Taiwan und Korea haben
gezeigt, daß bei genügendem politischen Druck
in beiden Fällen ausgelöst durch die Flüchtlingsströme
die Machthaber Maßnahmen mit hoher Beschäftigungswirkung
ergreifen. Für die meisten Länder gilt, daß
arme Unterbeschäftigte kein Machtfaktor sind, sondern
in Landgebieten verstreut leben und kaum Artikulationsmöglichkeiten
haben. Hier sind Machtumverteilungen Voraussetzung für
beschäftigungsfördernde Maßnahmen, es sei
denn, dieses Ziel läuft im Einzelfall einmal nicht
andersartigen Interessen zuwider.
Weiter
mit: 5. Konsequenzen