1. Arbeiten wir eigentlich mit Konzepten, die die Realität ausdrücken, die noch abbilden, was wir meinen? Mir scheint wir müssen manche neu überdenken und anpas­sen.

Als Beispiel wähle ich „Landwirtschaft", „landwirtschaftlicher Betrieb".

Solange ich zurückdenken kann, war der Kleinbauer Hauptziel der Agrarpolitik, bei uns und in der weiten Welt. Er gilt als arm, und mit Instrumenten von Förderungs­diensten bis Preisstützungen versuchte man, sein Los zu verbessern. Meist war aber nicht der Kleinbauer, sondern größere Betriebe Hauptnutznießer. Kleinbauern sind im­mer noch arm, und viele mussten aufgeben oder haben aufgegeben.

Meine Frage ist: Ist die Theorie, die die Politik leitet, richtig? Was ist Landwirtschaft in der heutigen Zeit?

Weltweit ist - mit Ausnahme der sozialistischen Länder und recht weniger Großbetriebe - die Landwirtschaft in Familienbetrieben organisiert. Für diese war charakteristisch

•      Die Familie setzt all ihre Arbeitskraft auf dem Betrieb ein.
•      Die Familie lebt von den Erträgen des Betriebes.

Der Betrieb ist

•      Zentrum gemeinsamen Interesses
•      Grundlage von Existenz und Sicherheit für alle Angehörigen.

Hier konnte die Agrarpolitik den Familienbetrieb als Ziel haben, uniform sein und ohne Zielgruppendefinition auskommen.

Inzwischen gibt es zahlreiche Änderungen der ökonomischen, sozialen und technologischen Rahmenbedingungen, hier und in den Entwicklungsländern:

  1. Betriebsgrößen sinken durch Erbteilung und Ag­rarreformen
  2. neue Technologien wurden eingeführt
  3. die Landwirtschaft ist mit anderen Sektoren ver­flochten
  4. die nichtlandwirtschaftliche Entwicklung brachte Alternativen und führte zu Abwanderung
  5. Abwanderung und Massenmedien haben die Agrargesellschaft in die Gesamtgesellschaft integriert.

Regional unterschiedlich stark, aber zunehmend kam es zu einer Differenzierung der landwirtschaftlichen Betriebe, der man mit dem Begriff „Kleinbauernbetrieb" nicht mehr gerecht wird. M.E. sollte man heute unterscheiden zwi­schen

1. Haushalten mit Landausstattung, die groß genug sind, eine ausreichende Existenz aus der Nutzung des Bodens zu geben. Diese Haushalte konzentrieren sich auf die Landbewirtschaftung, nutzen neue Technologien und wollen Einkommen erhöhen durch gute Bewirtschaftung. Hierzu gehören

  • Großbetriebe, „Landlords"
  • „progressive Farmer"„economic holdings" Weltweit gehören hierzu etwa 25 % aller Haushalte mit Landbewirtschaftung bei regional größeren Schwankungen.

2. Haushalte, deren Landausstattung nicht ausreicht, um eine befriedigende Existenz zu erwirtschaften.
Diese Haushalte versuchen, durch außerbetriebliche Tätigkeiten ihre Lebenslage zu verbessern. Das Interesse an Landbewirtschaftung ist oft geringer, teils durch Mangel an Alternativen aufgezwungen. Die junge Generation strebt ein Leben außerhalb der Landwirtschaft an. Hierzu gehören

  • Haushalte mit Mehrfachbeschäftigung (individuell, im Haushalt, extended family economy)
  • Haushalte mit Haushaltsprodukten (Holzkohle, Bier, Matten)
  • Haushalte von alten Leuten
  • Marginalexistenzen

Man sollte vielleicht nicht von landwirtschaftlichen Betrie­ben sprechen, sondern von landbewirtschaftenden Haus­halten, die in unterschiedlicher Weise alle verfügbaren Ressourcen (Boden, Arbeit, Kapital) einsetzen, um den Lebensunterhalt zu sichern. Teils sind Desinvestitionen der einzige Weg.

Dies hat weitreichende Folgen:

- Einstellung zur Landwirtschaft Früher war für den Sohn vorherbestimmt, die Land­bewirtschaftung weiterzuführen. Noch nach dem letzten Weltkrieg war „Access to Land" der Slogan der Landreformen. Heute ruft die Jugend „Zugang zu Einkommen", wo immer es herkommen mag. Nicht jeder Bauernsohn ist glücklich, den Betrieb weiterfüh­ren zu dürfen. Bei schlechten Verhältnissen sucht er nach Alternativen, die nicht leicht zu finden sind, aber Millionen haben sie gefunden.

Damit kommt es zu einer Änderung der Ziele bezüg­lieh Landbewirtschaftung. Diese mögen sein:

  • Bareinkommenserzielung
  • Erzielung von Selbstversorgung oder Teil­selbstversorgung
  • Billige ländliche Wohnstätte
  • Sicherheit bei Arbeitsplatzverlust
  • Alterssitz in gewohnter Umgebung
  • Investitionsmöglichkeit
  • Spekulationsobjekt
  • Bauland für Kinder
  • Kapitalreserve für Kosten der Kinderausbildung

Landbewirtschaftung ist nur eine Rechtfertigung für Landbesitz.

- Folgen für die Beschäftigungsstruktur

Oft sind nicht alle Familienmitglieder auf dem Betrieb tätig, sondern

  • in verschiedenen Berufstätigkeiten
  • Leben von verschiedenen Einkommensquellen

Dabei gibt es Änderungen

  • von Zeit zu Zeit
  • von Person zu Person
  • an verschiedenen Orten

Die Arbeitsverteilung zwischen den Geschlechtern ändert sich mit Folgen für den sozialen Wandel.

- Folgen für die Produktionsstruktur

Bei genug Land ist das Ziel, hohe Einkommen durch hohe Erträge zu erzielen.

Ist nicht genug Land vorhanden, dann sind die Erträ­ge weniger interessant, der Lebensunterhalt kommt von außerhalb. Andere Ziele werden wichtig: Nicht höchster Ertrag, sondern

  • geringster Arbeitsaufwand (Zeit für andere Arbeiten)
  • Produktion mit geringstmöglichen Investitio­nen
  • Konzentration des Arbeitsaufwands auf we­nige Wochen, zu denen Verwandte aus der Stadt zur Hilfe geholt werden.

- Konsequenzen für Agrar- und Entwicklungspolitik

Bei ausreichend Land:

  • Meist an Landbewirtschaftung interessiert
  • Hilfe durch Agrarpolitik möglich
  • Strukturpolitik
  • Preispolitik
  • Innovationspolitik

•   Förderungsinstitutionen

Hier ist das Aufgabengebiet der Agrarpolitik. Aber ausreichend Land haben nur etwa ein Viertel aller landbewirtschaftenden Haushalte.

Ohne ausreichend Land:

  • Durch Agrarpolitik kaum Hilfe möglich
  • Oft daran auch kaum Interesse.

Für die drei Viertel aller Haushalte besteht an Agrar­politik kaum Interesse noch Nutzen:

  • Preispolitik hilft nicht, da nicht verkauft wird
  • Innovationspolitik hilft nicht, da das Interesse außerhalb der Landwirtschaft liegt.

Hier müssen andere Politikbereiche tätig werden:

  • Ausbildung für nichtlandwirtschaftliche Ar­beitsplätze
  • Beschäftigungsförderung
  • Regionalentwicklung
  • Manchmal: Sozialpolitik
  • Manchmal: Förderung der Abwanderung.

Nötig ist eine Konzentration der Agrarpolitik auf die Betriebe,

  • die sie benötigen
  • die sie wünschen
  • bei denen sie effektiv ist.

Für die anderen sind andere Politikbereiche anzu­wenden.

Eine Präzision der Konzepte - hier Landwirtschaft -mag dabei hilfreich sein.

Dies gilt auch für andere Konzepte (Land, Familie, Arbeitskräfte). Treffende Konzepte führen zu besse­rem Verständnis der Probleme und zu geeigneterer Politik.

 

 

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