2. Die Periode der Fortschritte in der Agrarproduktion, 1965 — 1977

Mitte der 60er Jahre kam es zu einer erheblichen Ertragssteigerung in der Landwirtschaft durch den als „Grüne Revolution" bezeichneten Prozeß. Dieser besteht in der Einführung sowohl biologisch-technologischen als auch mechanisch- technologischen Fortschritts im Agrarbereich. Auslösend war die Einführung von neuen Sorten bei Weizen und Reis, die ein erheblich höheres genetisches Ertragspotential hatten als die alten Landsorten. Um dieses Potential auszuschöpfen, müssen aber die komplementären ertragssteigernden Betriebsmittel, insbesondere Dünger, Pflanzenschutzmittel und ausreichende Bewässerung, zur Verfügung stehen. Die letzte Forderung schloß unbewässerte bzw. unbewässerbare Gebiete von vornherein aus, so daß das Wohlstandsgefälle zwischen den Bewässerungsgebieten und den übrigen Landesteilen noch vergrößert wurde.

Die hohen Ertragssteigerungen bewirkten eine schnelle Einführung der neuen Sorten, beginnend bei den größeren Betrieben, die über Informationen und Zugang zu dem anfangs knappen Saatgut und zu den Betriebsmitteln verfügten. Auch Geschmack und Backqualität entsprachen anfangs nicht den Wünschen der für die Selbstversorgung produzierenden Kleinbetriebe. Nachdem eine neue Technologie für die Agrarproduktion zur Verfügung stand, stellten sich bald zwei Engpässe bei der Anwendung heraus: Mangel und Unsicherheit bei Bewässerungswasser und Schlagkraft bei der Bodenbearbeitung zur Erhöhung der Anbauintensität. Innerhalb weniger Jahre wurden diese Engpässe durch den Bau von mehr als 100000 Rohrbrunnen und den Kauf einer gleichen Zahl von Traktoren beseitigt.

Dieser massive Mechanisierungsschub hatte weitreichende Folgen: Der Zwang, die Mechanisierungskosten aufzufangen und der Wunsch, neu entstandene Gewinnchancen zu realisieren, führten zur Entlassung vieler Pächter und zur Konzentration der Bewirtschaftung in größeren Einheiten. Mit der Einführung der Traktoren waren die Zugtiere entbehrlich geworden. Sie gingen von 1960 bis 1980 um 1,7 Millionen Tiere zurück. Damit ist einer der wesentlichen Gründe für das alte Teilbausystem — Dezentralisierung der Ochsenhaltung und damit Risikominderung — entfallen. Gleichzeitig bedeutete das traditionelle Teilungsverhältnis von 50:50 für den Rohertrag bei den veränderten Pächterleistungen und bei den höheren Flächenerträgen eine sehr hohe Bezahlung der Arbeitskraft. Nachdem Versuche zur Reduzierung des Pächteranteils scheiterten, ging man schnell zur Kündigung der Pachtverhältnisse und zur Eigenbewirtschaftung in zentralgeleiteten Betrieben über. Oft wurde die bewirtschaftete Fläche durch Zupacht von Land von solchen Kleinbetrieben vergrößert, die den finanziellen Anforderungen der neuen Technologiestufe nicht gewachsen waren.

Die technologischen Änderungen in der Agrarproduktion haben nicht nur regional, sondern auch schichtenspezifisch zu starken Differenzierungen geführt. Hauptnutznießer waren die Besitzer mittlerer und besonders größerer Betriebe, während Kleinbetriebe sehr viel weniger Nutzen hatten. Pächter und auch Teile der Landarbeiter verloren sogar in vielen Fällen ihre bisherige Existenz. Auch die Art der Beziehungen zwischen den ländlichen Bevölkerungsgruppen änderte sich mit dem Aufkommen einer kommerziellen Landwirtschaft. Das bisherige gemeinsame Interesse aller Landbewohner an der Landwirtschaft, von der man lebte, gab einer zunehmenden Polarisierung der Interessen Platz. Anstelle der früheren, mit gegenseitigen Pflichten ausgestatteten Arbeitsbeziehungen — Arbeitsleistungen und Loyalität gegen Lohn und Fürsorge — traten jetzt kontraktmäßige Pflichten. Die alten verinstitutionalisierten Gegenseitigkeitsbeziehungen waren zwar stark einseitig verschoben, gaben den Schwachen aber doch eine gewisse Existenzsicherheit, während sie heute ohne soziale Sicherheit leben müssen. Für die Grundbesitzer ist aus der Lebensform „Landlord" ein Beruf geworden, und Boden ist Mittel zur Erzielung von Einkommen statt Existenzbasis für alle Bewohner und über die Generationen hinweg.

Die massiven Pächterentlassungen haben nicht zu einem Massenelend geführt. Dies ist in erster Linie auf das Importverbot von Mähdreschern zurückzuführen, so daß die Grundbesitzer während der hochbezahlten Ernte auf Gelegenheitsarbeiter angewiesen waren und diese damit Einkommenschancen hatten. Außerdem tauschten viele ehemalige Pächter ihre jetzt überflüssigen Ochsen gegen Büffelkühe ein und konnten Milch bzw. Butterschmalz verkaufen. Dies war eine Tätigkeit für Frauen, während die Männer nicht mehr ortsgebunden waren und sich auch an entfernteren Plätzen um Arbeit bemühen konnten.

Solche Arbeiten wurden auch in zunehmendem Maße angeboten. Entsprechend der Regel der Agrargesellschaft „hat der Bauer Geld, hat's die ganze Welt", führten die höheren Einnahmen in der Landwirtschaft und die höheren Verkaufsmengen zu einem starken Nachfrageanstieg bei Transport, Lagerung, Handel, Baugewerbe, Konsumgüterhandel u.a., so daß die entlassenen Pächter nach einer Übergangszeit neue Existenzen fanden. Diese globale Aussage soll nicht darüber hinwegtäuschen, daß besonders ältere Personen in große Schwierigkeiten gekommen sind. Neben der Zunahme der Arbeitsplätze für Dienstleistungen entstanden mit der Zeit auch zahlreiche Arbeitsplätze in den Zulieferindustrien für die Landwirtschaft. Dies betraf zum geringeren Teil Großindustrien wie Düngerfabriken u.a., überwiegend aber kleingewerbliche Produktionsstätten, die Landmaschinen, Zusatzgeräte u.a. Dinge herstellten.

Die „Grüne Revolution" brachte einen erheblichen Anstieg in der Flächenproduktivität der bewässerten Landwirtschaft und machte von Importen an Grundnahrungsmitteln unabhängig. Dadurch wurde auch ein Preisanstieg von Nahrung aus Knappheitsgründen verhindert. Da diese technologische Entwicklung der Landwirtschaft vor einer wirksamen Agrarreform stattfand - auch ein zweiter Versuch einer Agrarreform mit dem Ziel, die Obergrenze zulässigen Landeigentums auf 60 ha bewässertes oder 120 ha un-bewässertes Land zu begrenzen, brachte nur wenige Ergebnisse -, führte sie nur zu einer Verfestigung der bestehenden Ungleichheit in der Landbevölkerung, zu einer Zunahme der Bewirtschaftungskonzentration, einer Polarisierung der sozialen Beziehungen und zum Ausscheiden zahlreicher Personen aus der Landbewirtschaftung.

Da der Anstieg der Einkommen der grundbesitzenden Familien höher war als der anderer Haushalte auf dem Lande, gleichzeitig aber weniger Existenzchancen auf dem Dorfe geboten wurden, wanderten viele Landlose ab. Eine eigentliche Industrie-Entwicklung fand nur in sehr geringem Maße statt. Quasi-sozialistische Experimente wie Nationalisierung von Industrie und Banken sowie Minimum-Lohngesetze wirkten sich als hinderlich aus. Die Hauptentwicklung fand im Kleingewerbe und in den Landstädten statt. Die Suche großer Bevölkerungsanteile gerade aus der ländlichen Unterschicht nach einer neuen Existenz brachte eine bisher ungewohnte Mobilität in die Landbevölkerung, und der Wechsel der Wohnorte ließ auch Rücksicht auf alte Normen bei der Wahl der Berufstätigkeit zurückgehen.

Die Landwirtschaft ist in dieser Periode produktiver, aber auch risikoanfälliger geworden. Sie ist unwiderruflich mit anderen Wirtschaftszweigen verflochten und daher abhängig, unter anderem auch vom Staat und seiner Förder-, Preis- und Subventionspolitik. Als der Staat Mitte der 70er Jahre seine Präferenz für die Landwirtschaft etwas zurücknahm und sich gleichzeitig die Vernachlässigung im Ausbau von Planzenzuchtstationen nachteilig bemerkbar machte, kam es auch zu Rückschlägen in der Agrarproduktion. Die „Grüne Revolution" hat keine eigentliche Entwicklung der Landwirtschaft in Gang gesetzt, sondern die Produktion nur auf ein höheres Niveau angehoben.

Die Aufgaben der Landwirtschaft in der Gesellschaft änderten sich gegenüber der früheren Zeit. Sie umfaßten immer noch Bereitstellung von Nahrung und Rohstoffen, was jetzt auch viel erfolgreicher vonstatten ging.

Die Kapitalbildung wurde jetzt in starkem Maße für Investitionen in der Landwirtschaft, also im eigenen Sektor, verwandt.

Die Aufbringung von Devisen ging zurück, weil es zu verstärkter Konzentration auch der Getreideproduktion kam.

Zum ersten Mal war die Landwirtschaft in größerem Umfange Markt für nichtlandwirtschaftliche Produkte und Dienste und förderte so den Ausbau dieser Bereiche.

Langsam lösten sich auch Arbeitskräfte aus der Landwirtschaft, ebenso wurde Land für Wohnstätten und Gewerbebetriebe abgegeben.